Interview: Die Green-Fashion-Community gegen COVID-19: „So etwas gab es noch nie“
Die INNATEX präsentiert seit über 20 Jahren Green Fashion in Hofheim-Wallau bei Frankfurt am Main – und einer derartigen Herausforderung stand die wichtigste internationale Ordermesse für nachhaltige Textilien noch nie gegenüber. Doch die veranstaltende MUVEO GmbH zieht das Projekt durch und lädt vom 5. bis 7. September zum derzeit einzigen großen Branchentreff in Deutschland ein. Projektleiter Alexander Hitzel über die Auswirkungen von Corona, Anpassungen und die Stimmung in der Branche.
Alexander Hitzel, Fashion Weeks fallen aus, die Internationale Ledermesse in Offenbach bei Frankfurt und andere Großveranstaltungen werden laufend gestrichen, die Ansteckungszahlen steigen. Aber Sie halten an der Realisation der 47. INNATEX fest. Wie soll das funktionieren?
Wir gehen davon aus, dass der Standort des von uns betriebenen Messe-Center Rhein-Main einmal mehr vorteilhaft ist. Bisher ermöglichte er uns vor allem unerreicht günstige Standpreise, mit denen wir auch kleinere Labels unterstützen können. Zusätzlich sind wir auch noch außerhalb von städtischen Zentren mit hohen Infektionszahlen, umgeben von Natur, das sorgt natürlich für ein sicheres Gefühl jetzt, wo viele Großstädte zu Risikogebieten gehören.
Wir haben monatelang mit den Gesundheitsbehörden am riesigen Sicherheitskonzept gearbeitet, damit die Messe stattfinden kann. Nur um einige Beispiele zu nennen: Es gibt zwischen den Ausstellerständen ein Leitsystem mit Einbahnstraßen, damit das Publikum nur in eine Richtung läuft. Wir haben eine neue Klimaanlage installiert, die für eine ordentliche Frischluftzufuhr sorgt. Die Flächen müssen und sind immer groß genug, damit die Besucher*innen den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einhalten können. Maske ist Pflicht für alle. Mehrere Hygienebeauftragte vor Ort stellen die Einhaltung der Maßnahmen sicher. Mit einem ausschließlich digitalen Registrierungssystem sorgen wir dafür, dass jede*r vor Ort erfasst ist und wir Besucherströme steuern können um Andrang zu vermeiden. Wir stellen erstmals ein großes Zelt allein für das Catering auf. Und das alles neben dem Tagesgeschäft, wo sich jeden Tag etwas ändert, Sie können sich vorstellen … wären wir nicht kurz zuvor Betreiber der Halle geworden, wären solche fundamentalen Änderungen nicht möglich gewesen.
Und wieso tun Sie das?
Gerade jetzt ist es wichtig, dass die INNATEX stattfindet und der Green Fashion Branche eine Plattform bietet. Die Branche hat ganz schön eingesteckt und kann gut Signale gebrauchen, dass es standfeste Institutionen gibt, auf die sie setzen kann. Auch wenn das Virus uns viel zusätzliche Arbeit und Kosten bereitet, sind wir nach wie vor überzeugt. Wir bekommen von allen Seiten − Labels, Einkäufer*innen, Medien, Besucher*innen − das Feedback, wie sehr sie sich auf die Messe freuen. Das motiviert uns sehr!
Sie haben die Messe um einen Monat verschoben, warum?
Als die Pandemie gerade ihre Spitze erreichte, führten wir eine Umfrage unter den Aussteller*innen durch. Die Ergebnisse deuteten auf den jetzigen späteren Termin hin. Shops, Labels und Produzenten haben während des Lockdowns Zeit verloren, die sie so aufholen konnten. Schließlich zeichnen faire Partnerschaften die Green Fashion aus.
Ein weiteres Argument für die Verschiebung des Saisonwechsels ist, dass sich damit auch der Sale verschieben soll. Kleine Green Fashion Labels haben in der Produktion höhere Kosten als konventionelle Modehäuser, was es ihnen erschwert, beim Schlussverkauf zwanzig, dreißig, fünfzig Prozent abzuziehen, die andere von vornherein draufschlagen, weil die niedrigeren Produktionskosten es erlauben. Vorzeitige Sale-Schlachten können für Sustainable-Fashion-Labels regelrecht den Untergang bedeuten. Eine Verschiebung um vier Wochen heißt, dass die nachhaltige Branche vier Wochen gewinnt, um zum vollen Preis verkaufen und hoffentlich Verluste ausgleichen zu können.
Damit das funktioniert, müssen alle an einem Strang ziehen: vom Baumwollanbau bzw. der Stoff- und Garnproduktion über die Näherei und das Label bis hin zum Shop und letztlich auch zum/r Konsumenten*in.
Hand aufs Herz: In der Theorie klingt das alles löblich, aber wenn es um den eigenen Vorteil geht, wie sieht es wirklich aus?
Besser, als Sie vielleicht denken! Wir führen Interviews mit Vertreter*innen von Green-Fashion-Größen wie beispielsweise Disana, Melawear, Glore oder dem Global Organic Textile Standard, wir nennen sie Changemaker. Sie erzählen ausnahmslos, dass sie von den engen Beziehungen mit ihren Partner*innen profitieren. Man geht aufeinander zu, garantiert Sicherheit und behält Aufträge bei. Auch die Konsument*innen scheinen ihren Lieblingslabels und -shops treu zu bleiben und kaufen zur Not Gutscheine oder Geschenke dort ein. Derartige Statements über Solidarität unterscheiden sich so von den schrecklichen Schlagzeilen über die Entwicklungen in der Fast-Fashion-Industrie, da kommen schon mal feuchte Augen der Rührung.
Dass Solidarität und ein fairer Umgang genauso Markenzeichen sind wie Umweltfreundlichkeit, zeigt auch die Initiative Fair Fashion Solidarity. Vier Persönlichkeiten in der Green-Fashion-Welt – die Macher*innen von Langer Chen, Lanius, Loveco und vom Avocadostore – präsentieren ein Manifest, das unter anderem Solidarität und Terminflexibilität fordert. Über dreihundert Unterstützer*innen haben das Manifest unterzeichnet.
Ein informatives Programm mit Expert*innen, das Sie sonst immer anbieten, angekündigte Neuerungen und die legendäre Sommerparty fallen aus. Was können Besucher*innen noch erwarten?
Na, auf jeden Fall eine wahnsinnige Vielfalt, spannende Kollektionen und Labels. Natürlich wird die anstehende Messe anders aussehen als gewohnt und geplant, aber wir haben ein sehr gutes Gefühl. Erst kürzlich fand unser Showroom in der Schweiz statt und er lief super. Gute Orderstimmung, neue Verträge und Kunden, optimistische Gespräche, solide Besucher*innenzahlen. Das zu erleben hat gutgetan. Mit über 200 ausstellenden Labels bietet die kommende INNATEX tatsächlich eine schöne Vielfalt an klassischen Naturtextilien und innovativen jungen Designideen für Mode, Accessoires und Schuhen. Die sechs DesignDiscoveries, so heißt unser Konzept, von dem eine Auswahl an Newcomern und überzeugenden Kreativen mit einem günstigeren Standpreis und intensiver Kommunikation durch uns profitieren, sind mit ihren großartigen Ansätzen auf jeden Fall ein Höhepunkt.
Und die nächste Gelegenheit, bei der wir all unsere Ideen rund um Digitalisierung, Internationalisierung, Inhaltsvermittlung und vielem mehr umsetzen können, kommt bestimmt.
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