Kann die Blockchain für mehr Nachhaltigkeit sorgen?

Die Blockchain erlebt derzeit einen Boom wie noch keine Technologie zuvor. Diese neuartige – und sehr komplexe – Art der digitalen Buchhaltung wurde erst vor elf Jahren erstmals in einem anonymen Dokument beschrieben, als Basis für die Kryptowährung Bitcoin.

Eine Bitcoin-Einheit, die auf der öffentlichen Blockchain vermerkt ist, ist fälschungssicher, grenzenlos übertragbar und benötigt für Aufbewahrung und Transaktion weder Banken noch andere Finanzinstitute. Wie viele Währungseinheiten jemand besitzt und wer wem etwas überweist, ist in algorithmisch gesicherten Datenblöcken festgehalten. Jeder kann diese jederzeit nachprüfen.

Frühe Anwender, Krypto-Experten und Hacktivisten versprachen sich durch das Blockchain-gesteuerte Geld eine anarchistische, grenzenlose Utopie, in der alle möglichen Institutionen überflüssig würden. Je mehr sich die Finanzwelt jedoch damit beschäftigte, desto mehr entwickelte sich das Ganze in einen digitalen Goldrausch für Investoren. Tausende neue Kryptowährungen und Tech-Start-ups entstanden. Bitcoin und Co. wurden zu Spekulationsobjekten auf einem neuen Kryptomarkt.

Kryptowährungen sind allerdings nur eine von vielen Anwendungen der Blockchain-Technologie. Für die verarbeitende Industrie kann dieses System logistisch von großem Wert sein. Viele große Konzerne haben damit begonnen, Blockchain-Anwendungen in ihre Produktions- und Lieferketten zu integrieren. Entwickler versprechen mit der Technologie nicht nur bessere Datenverarbeitung und Gewinnoptimierung, sondern auch fairen Handel und mehr Nachhaltigkeit. Aber wie soll das funktionieren?

Blockchain in der Industrie

Eine Blockchain ist im Prinzip eine fälschungssichere digitale Datenbank. Einzelne Vorgänge, zum Beispiel Transaktionen, werden innerhalb des Netzwerkes validiert und in Datenblöcke zusammengefasst. Diese Blöcke werden mit einem kryptografischen Algorithmus zu einer Kette aneinandergehängt. Die Daten darin können nicht mehr nachträglich geändert werden. Der Clou dabei ist, dass diese Datenkette nicht wie bei einer Bank an einem zentralen Ort gesichert ist, sondern dass sie jeder Teilnehmer im System auf seinem Endgerät speichern und auslesen kann. Das Vertrauen in die Transaktionen wird nicht mehr einem Mittelsmann oder einer Institution verliehen, sondern dem dezentralen Netzwerk.

Diese transparente Rückverfolgbarkeit lässt sich nicht nur auf Währungseinheiten wie den Bitcoin anwenden, sondern auch auf Güter und Produkte. So ist es möglich, einen Rohstoff von der Entnahme an zu markieren und seinen Weg in der Produktions- und Lieferkette genau zu verfolgen. An jeder Station können Informationen hinzugefügt werden. Das können Zeitstempel, Ortungsdaten und Übergaben sein, aber auch Temperaturwerte oder durch Bewegungssensoren gemessene Transporterschütterungen – all das kann auf der Blockchain festgehalten werden. Nachträgliche Änderungen sind je nach Blockchain-Typ unmöglich oder nur mit mehrheitlichem Konsens machbar. Verlässt ein Produkt einmal die Kette oder tauchen andere Unregelmäßigkeiten auf, wird dies sofort vermerkt und an alle Teilnehmer weitergeleitet. Richtig eingesetzt kann dies zu einer zuverlässigen Nachhaltigkeitskontrolle führen.

Beispiel Überfischung: Kontrolle vom Netz bis auf den Teller

90 Prozent der weltweit kommerziell genutzten Fischbestände werden regelmäßig überfischt. Fangflotten dringen in immer entlegenere Gebiete vor, ganze Ökosysteme werden gefährdet und zerstört. Gesetzliche Fangquoten können in den Weiten der Ozeane derzeit nur schwer überprüft werden. Und als Konsument hat man noch weniger Möglichkeiten zu erfahren, wo genau der Fisch auf dem Teller herkommt – oft wird nicht einmal die richtige Art angegeben.

Mit Blockchain-Technologie ist es möglich, mehr Transparenz in der Fischerei zu schaffen. Die Idee dahinter ist Rückverfolgbarkeit vom Netz bis auf den Teller. Wenn jeder Beteiligte dazu verpflichtet ist, die Fischladungen auf einer Blockchain mittels IoT-Sensoren, RFID-Chips und QR-Codes zu vermerken, kann so eine Datenkette entstehen, wo alles Relevante gesammelt wird: Tierart, Fangmethode, Fischerei, Transportweg, Kühlkette, Transporteure. Die Kette würde dann schon am mit Sensoren versehenem Fangnetz beginnen, wo Daten wie Ort, Zeit und Fanggewicht gemessen würden. Idealerweise kann der Konsument dann mit einer Smartphone-App einen QR-Code auf der Packung scannen und alle relevanten Infos aufrufen. Einige Projekte, die so etwas umsetzen, sind, Fishcoin, (en)visible in Kooperation mit Mastercard, Hyperledger Sawtooth und der IBM Food Trust.

Transparenz lässt Vertrauen in Lebensmittel wachsen

Die Blockchain-Technologie des IBM Food Trust wird seit zwei Jahren erfolgreich von der französischen Supermarktkette Carrefour genutzt. Hier können Kunden auf ausgewählten Produkten wie Hähnchenfleisch einen QR-Code mit dem Smartphone scannen und sehen, von welcher Farm das Tier kommt, wann es verarbeitet und transportiert wurde. Carrefour berichtet von gestiegenen Verkaufszahlen bei den getrackten Produkten und hat dieses Angebot auf weitere Lebensmittel wie Eier, Milch, Früchte, Fleisch und Käse ausgeweitet. Langfristig soll das gesamte Sortiment auf die Blockchain kommen.

Fair Trade- und Öko-Label sind wichtige Kaufhinweise für umweltbewusste Kunden, aber geben nur selten hinreichend Informationen über die Herkunft und den Transportweg. Blockchain-Technologie kann lückenlose Rückverfolgbarkeit für den Kunden möglich machen / ©AdobeStock/Visions-AD

Beispiel Konfliktmineralien: Menschenrechte mit Blockchain sichern?

Ein weiteres Problemfeld sind Bodenschätze, die oft unter unmenschlichen Bedingungen der Erde entnommen werden. Dazu fließen die Gewinne häufig in die Finanzierung von bewaffneten Konflikten. Das gilt nicht nur für die berüchtigten Blutdiamanten, sondern auch für zahlreiche andere Mineralien wie Erze und seltene Erden, die unerlässlich bei der Produktion von Elektronik, wie zum Beispiel Smartphones, sind.

Auch hier gibt es erste Ansätze, den Weg solcher Konfliktmaterialien rückverfolgbar zu machen. So könnten seriöse Unternehmen, die unter fairen Bedingungen arbeiten, die Herkunft ihrer Steine lückenlos belegen. Ein Projekt, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, verantwortungsvollen Mineralienabbau per Blockchain zu sichern, ist Minespider.

Eine weitere Lösung für das Problem der Konfliktmineralien, aber mit breiterem Anwendungsspektrum, ist Everledger, was wie der IBM Food Trust auf IBMs Hyperledger Fabric System basiert. Everledger ist nicht nur für Diamanten und Mineralien konzipiert, sondern soll auch Zertifizierungsprozesse für Kunst und andere Luxusgüter absichern.

Projekte wie Minespider arbeiten mit NGOs zusammen, die sich für fairen und nachhaltigen Abbau von Bodenschätzen einsetzen. Aber auch das Diamanten-Monopol De Beers hat mit Tracr eine eigene Blockchain gestartet, hier dürfte die Informationskontrolle über die eigenen Steine im Vordergrund stehen / ©AdobeStock/poco_bw

Industrie will private Blockchains

Will man wissen, wie es um die tatsächliche Transparenz und Überprüfbarkeit einer bestimmten Blockchain steht, sollte man den Unterschied zwischen einer privaten und einer public Blockchain kennen. Eine public Blockchain ist jederzeit von allen einsehbar, jeder kann sich – wie bei Bitcoin – an dem dezentralen peer-to-peer-Netzwerk beteiligen. Für Unternehmen, die interne Daten verarbeiten wollen, ist dies allerdings wenig attraktiv, weswegen sich in der Industrie private Blockchains durchgesetzt haben, die zentraler organisiert sind und ihre Informationen nur registrierten Teilnehmern preisgeben.

Das Minespider-Projekt, welches zunächst angetreten ist, um größtmögliche Transparenz in die düsteren Minenbetriebe zu bringen, bietet eine Kompromisslösung an. Die Minespider-Blockchain ist zwar public, arbeitet aber mit einer Multi-Layer-Architektur, die gewisse Hierarchien bei der Informationsfreigabe ermöglicht. Erst kürzlich hat Volkswagen darin investiert, um seine Rohstoffe besser zu kontrollieren.

Betrug wird eingedämmt, aber nicht verhindert

Auch die nahtloseste digitale Technologie kann Betrügereien nicht unmöglich machen. Edelsteine aus Minen, die keinerlei Regularien einhalten, können umetikettiert oder an einen anderen Ort gebracht werden, bevor sie ihre ID erhalten. Wenn sich mehrere Signierer zusammentun, können diese die entscheidenden ersten Schritte in der Kette gemeinschaftlich in ihrem Sinne verändern oder fälschen. Allerdings wird es solchen Betrügern mit der nahtlosen Blockchain wesentlich schwieriger gemacht, die Lücken in der überwachten Kette werden immer kleiner und schwieriger auszunutzen.

Wer kontrolliert die Blockchain?

Die Blockchain hat sich in kürzester Zeit von einem Faszinosum für subversive Hacker über ein Spielzeug für Finanzspekulanten zu einer gewaltigen logistischen Umwälzung der Industriewelt entwickelt. Die Grundidee einer dezentralen Revolution, bei der die Gemeinschaft von Individuen zentrale Institutionen überflüssig machen, ist dabei von Regulatoren und Konzerninteressen immer weiter verdünnt worden. Die Industrie verspricht sich von den Datenketten vor allem mehr Möglichkeiten für interne Kontrollmechanismen, größeren Datenschutz, verbesserte Effizienz durch Automatisierung und verringerte Kosten. Transparenz wird dabei nur so weit zum Konsumenten vordringen, wie es die Unternehmen zulassen. Verbesserte Nachhaltigkeit und Umweltschutz gewinnen im Industriesektor sicher immer mehr an Bedeutung, sind aber vor allem öffentlichkeitswirksame Schlagworte.

Deshalb ist es wichtig, dass sich mehr Verbraucherschützer mit dieser Technologie auseinandersetzen. Konsumenten werden weiterhin Druck machen müssen und auf Produkte bestehen, die unter menschenwürdigen Bedingungen entstanden sind und die natürlichen Ressourcen nicht übermäßig strapazieren. Richtig eingesetzt, kann die Blockchain dafür ein wertvoller Kontrollmechanismus sein.

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