Ist Schurwolle aus Deutschland nichts mehr wert?

Schafwolle ist von Natur aus eine hautfreundliche, atmungsaktive und selbstreinigende Naturfaser, weshalb sie sich für die Herstellung nachhaltiger Bekleidungs- und Wohntextilien immer noch großer Beliebtheit erfreut und die Ladenregale füllt. Wer aber beim Einkauf auch nach einem Produkt aus regionaler Schafwollproduktion sucht, wird nur schwer fündig. Woran liegt das?

Deutsche Schafwolle landet nicht selten im Müll

Neben dem Vormarsch pflanzlicher und synthetischer Naturfasern wird häufig auch die Qualität dafür verantwortlich gemacht, dass es heute kaum noch Textilien aus deutscher Schafwolle zu kaufen gibt. Zu Unrecht, denn die Eigentümlichkeiten der Fasern bestimmen lediglich, welches Produkt aus der geschorenen Wolle entstehen kann, aber sie kategorisieren sie nicht in „gut“ oder „schlecht“. Die Kleidungsindustrie verlangt, insbesondere für die Herstellung von Funktions- oder Unterwäsche, besonders feine Fäden, damit sie sich auf der Haut angenehm weich anfühlt. Die Feinheit von Wolle wird in Mikron (ein tausendstel Millimeter) gemessen; je geringer der Wert, desto feiner das Vlies.

Einzig das Fell der Merinoschafe gilt als fein genug für Bekleidung. Jedoch gibt es länderspezifische Unterschiede. Australische Merinowolle kann beispielsweise mit einem Durchmesser von weniger als 20 Mikrometern aufwarten, während deutsche Merinowolle, bedingt durch rauere Witterungsverhältnisse, bei circa 26-28 Mikrometer liegt. Ein mildes Klima, professionelle Zuchtbetriebe sowie weitläufige, karge und sandige Weidelandschaften mit bestmöglichen natürlichen Futterbedingungen bilden den Schwerpunkt für die Premium-Qualität aus Down Under.

Aber auch die Züchter aus Neuseeland und China liefern riesige Mengen der begehrten Merinowolle, weshalb die drei Länder mittlerweile den internationalen Wollhandel bestimmen und deren Schafzuchten von so immensem Ausmaß sind, dass sie ihre riesigen Wollerträge zum Dumpingpreis anbieten können. Deutsche Wolle, auch die der Merinoschafe, hat dagegen kaum mehr eine Chance. Für Wolle alter Schafrassen wie Steinschaf, Heidschnucke oder Leineschaf erhalten Schafhalter aus Deutschland gerade mal 30-80 Cent pro Kilo Rohwolle. Der Kilopreis für Schurwolle von Merinolandschafen liegt bei etwa 1 Euro. Im Durchschnitt liefert ein Schaf drei bis vier Kilogramm Wolle pro Schur. Allein das Scheren kostet aber pro Schaf schon rund drei Euro. Zählt man noch die Sortier- und Transportkosten hinzu, wird schnell deutlich, dass die Wollproduktion für deutsche Schafzüchter kaum noch rentabel ist und das edle Naturprodukt landet nicht selten im Müll.

Das Dilemma der Wollvermarktung

Aufgrund der fehlenden Nachfrage findet in Deutschland kaum noch eine kommerzielle Schafhaltung und Wollvermarktung statt. Während sich die großen Exportländer von Schurwolle fast ausschließlich auf die Zucht feinster Merinowolle spezialisiert haben, werden hierzulande noch 80 verschiedene Schafrassen gehalten, alle mit spezifischer Wollqualität und Färbung. Eine gebündelte Vermarktung deutscher Wolle für Großabnehmer ist daher nicht einfach. Die Lobby der Schäfer ist klein. Ihre Leistungen und Anliegen werden gerade noch von deren Landschafzuchtverbänden vertreten, wiederum finanziert von den Schafhaltern.

Innerhalb dieser dezimierten Manpower und Organisationsstrukturen ist es nicht einfach faire Großabnehmer oder Wirtschaftspartner im Sinne des Ökosponsorings zu akquirieren. Und so steckt der deutsche Wollhandel seit Jahren in einem Dilemma, bestätigt auch der Spitzenverband rund um die Leistungen und Anliegen der Schafzüchter und -halter. Grundsätzlich hat die Wertschätzung gegenüber dem vielseitigen Naturrohstoff massiv abgenommen. Folglich existiert kaum noch ein Markt für Wolle und die eventuell erzielbaren Erlöse bewegen sich auf historischem Tiefstand. Parallel dazu versiegen nach und nach Subventionen aus öffentlichen Töpfen.

©Adobe Stock/Richard

Ökologisch wertvolle Wollprodukte direkt vom Schäfer

Gegen diese Abwärtsspirale und für den Erhalt eines ökologisch wertvollen Rohstoffs kämpfen viele Schäfer mittlerweile in Eigeninitiative. Organisiert in Genossenschaften wie beispielsweise „Das Goldene Vlies eG“ oder als Einzelkämpfer wird Rohwolle aber auch fertige Produkte von deutschen Schafen vielerorts direkt vermarktet. Verwendungszwecke für die Wolle gibt es viele. Das traditionsreiche Naturprodukt eignet sich hervorragend als nachhaltiges Dämmmaterial beim Hausbau, organischer Langzeitdünger, Füllmaterial für Decken oder zum Filzen. Nicht zuletzt sind viele Fasern von deutschen Schafen auch fein genug, um daraus kuschelige Socken, Pullover, Mäntel oder Handschuhe zu fertigen. Die spezifischen Fellfarben der einzelnen Schafrassen sorgen zudem für eine „bunte“ Vielfalt an Naturtönen.

Hergestellt werden die Produkte größtenteils in kleinen Manufakturen in Deutschland und angrenzenden Ländern. Verkauft werden die Erzeugnisse auf Märkten, Messen, in Hofläden oder spezialisierten Verkaufsstellen an Endkunden aber auch an Wiederverkäufer. Die hochwertige Verarbeitung und freiwillige Einhaltung nachhaltiger Grundsätze wie kurze Transportwege, regionale Herstellung aber auch sozialverträgliche Arbeitsbedingungen sollen ergänzend dazu beitragen höhere Erlöse für Rohwolle, Strickwolle, Pullover und Co. zu erzielen. Zwar erfreuen sich die neuen alten Errungenschaften langsam einer Renaissance und widersetzen sich den Zeittrends, aber sie decken oftmals gerade mal die Kosten für die Schafschur. Absatzfördernde Zertifizierungen für höchste ökologische Wollqualitäten können verantwortungsvolle Schäfereien damit meist nicht finanzieren.

Einkauftipps für Produkte aus deutscher Schurwolle

Der Kauf vieler Produkte aus heimischer Schurwolle ist daher zunächst reine Vertrauenssache und Wertschätzung gegenüber ursprünglicher Landwirtschaft, dem daraus resultierenden Naturrohstoff sowie traditionellem Handwerk. Über Nachhaltigkeit, Haltung und Wollverarbeitung informieren die Direktvermarkter aber auch gerne vor Ort oder auf ihren Webseiten. Viel Wissenswertes zu alten Schafrassen, ihre Wollqualitäten und Landschaftsschutz durch Freilandhaltung gibt es häufig gratis dazu. Eine Direktvermarkterliste für die einzelnen Bundesländer hat der Dachverband der Landesschafzucht und –halterverbände (VDL) unter schafe-sind-toll.com veröffentlicht. Einkaufstipps mit Adressen für fertige Wollprodukte finden sich bei den Genossenschaften, aber auch bei bioland.de.

Obwohl das kreative Engagement der Schäfereien bei den Kunden gut ankommt, bleibt dennoch fraglich, ob die deutsche Schurwolle eine echte Zukunft hat. Zwar gibt es wieder einige Firmen, die ausschließlich heimische Wolle verarbeiten, für einen stabilen Aufschwung sind laut Dr. Stefan Völl, Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Landschaftszuchtverbände e. V. jedoch professionelle Vermarktungsstrategien, findige Konzepte sowie eine umfassende Rückbesinnung auf einen einzigartigen Naturrohstoff unerlässlich.

Zum Thema „Schurwolle – tragbar oder unerträglich“ liest du in der 7. Ausgabe des greenup Magazins – ab dem 08. November 2019 im Zeitschriftenhandel oder in unserem Online-Shop

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